Das Siebengebirge in der Dichtung:

Lyrische Kostproben

Die Romantik als gesamteuropäische kulturelle Bewegung gewann am Ende des 18. Jahr­hun­derts zunehmenden Einfluß in allen Bereichen künstlerischen Schaffens. Einer der sie prägenden Inhalte sollte von nachhaltiger Bedeutung für die Rheinlande werden: Ein neues Landschaftsempfinden ließ nunmehr auch solche Regionen interessant erscheinen, die zuvor von Reisenden allenfalls als unvermeidliche Hindernisse zwischen den für sie attraktiven Zielorten wahrgenommen wurden. 

Insbesondere englische Reisende waren es, die den Rhein als neue Reiseroute auf ihrem Weg zu den Stätten klassischer Antike nutzten. Das Siebengebirge als erster landschaftlicher Höhepunkt dieser Route fand ihre Bewunderung und wurde schnell zur Attraktion - und damit zum Gegenstand von Gemälden, Zeichnungen und Reisebeschreibungen. Seine Verherrlichung fand Eingang in Reiseführer und schließlich auch in die lyrische Produktion der bekanntesten zeitgenössischen Dichter. 

Am Anfang dieser "lyrischen Karriere" stand der englische Poet Lord Byron, dessen Drachenfels-Zeilen zahllose Reisende beeinflußten und zum Pflichtbestandteil englischer Reiseführer wurden. In der Lyrik der folgenden Jahrzehnte finden sich die jeweils zeittypischen Strömungen wieder - seien sie politisch motiviert oder auch den jeweiligen "Modetrends" verpflichtet. Es finden sich hier auch die ersten Anzeichen späterer Klischees, die teilweise bis heute das Bild des Rheinlandes und seiner Bewohner prägen ...

Lord Byron (George Gordon Noel)
(London 1788 - 1824 Missolunghi)

"The castled crag of Drachenfels" (1816)

The castled crag of Drachenfels 
Frowns o'er the wide and winding Rhine, 
Whose breast of waters broadly swells 
Between the banks which bear the vine, 
And hills all rich with blossom'd trees, 
And fields which promise corn and wine, 
And scatter'd cities crowning these, 
Whose far white walls along them shine, 
Have strew'd a scene, which I should see 
With double joy wert thou with me. 

And peasant girls with deep blue eyes, 
And hands which offer early flowers, 
Walk smiling o'er this paradise; 
Above, the frequent feudal towers 
Through green leaves lift their walls of grey, 
And many a rock which steeply lowers, 
And noble arch in proud decay, 
Look o'er this vale of vintage-bowers; 
Bur one thing want these banks of Rhine, - 
Thy gentle hand to clasp in mine! 

I send the lilies given to me; 
Though long before thy hand they touch, 
I know that they must wither'd be, 
But yet reject them not as such; 
For I have cherished them as dear, 
Because they yet may meet thine eye, 
And guide thy soul to mine even here, 
When thou behold'st them drooping nigh, 
And know'st them gathered by the Rhein, 
And offered from my heart to thine! 

The river nobly foams and flows, 
The charm of this enchanted ground, 
And all its thousand turns disclose 
Some fresher beauty varying round: 
The haughtiest breast its wish might bound 
Through life to dwell delighted here; 
Nor could on earth a spot be found 
To nature and to me so dear, 
Could thy dear eyes in following mine 
Still sweeten more these banks of Rhine!

 

"Der turmgekrönte Drachenfels" (1816) 
(Übers.: Aug. Mommsen, 1885)

Weit droht ins offne Rheingefild 
Der turmgekrönte Drachenstein; 
Die breite Brust der Wasser schwillt 
An Ufern hin, bekränzt vom Wein, 
Und Hügeln, reich an Blüt' und Frucht 
Und Au'n, wo Traub' und Korn gedeihn, 
Und Städten, die an jeder Bucht 
Schimmern im hellen Sonnenschein: 
Ein Zauberbild! - Doch fänd' ich hier 
Zwiefache Lust, wärst du bei mir! 

Und manche holde Bäuerin 
Mit Frühlingsblumen in der Hand 
Geht lächelnd durch das Eden hin; 
Hoch oben blickt vom Felsenrand 
Durch grünes Laub das Räubernest, 
Und manches Riff mit schroffer Wand 
Und kühnen Bogens stolzer Rest 
Schaut weit hinaus ins Vaterland; 
Nur eines fehlt dem schönen Rhein: - 
Dein Händedruck, - ich bin allein! 

Die Lilien, welche ich empfing, 
Send' ich zum Gruße dir ins Haus: 
Wenn auch ihr Duft und Schmelz verging, 
Verschmähe nicht den welken Strauß! 
Ich hielt ihn hoch, ich weiß es ja, 
Wann deine Augen bald ihn sehn, 
Dann ist mir deine Seele nah': 
Gesenkten Hauptes wird er stehn 
Und sprechen: Von dem Tal des Rheins 
Schickt diesen Gruß sein Herz an dein's. 

Der stolze Strom erbraust und fließt, 
Der schönen Sagen Zaubergrund; 
In tausend Windungen erschließt 
Sich neue Schönheit, reich und bunt; 
Wer wünschte nicht mit Herz und Mund 
Ein Leben lang zu rasten hier? 
Kein Raum wär' auf dem Erdenrund 
So teuer der Natur und mir, 
Wenn deine lieben Augen nur 
Noch holder machten Strom und Flur.

 

Heinrich Heine
(Düsseldorf 1797 - 1856 Paris)

"Die Nacht auf dem Drachenfels" (1830)

Um Mitternacht war schon die Burg erstiegen,
Der Holzstoß flammte auf am Fuß der Mauern,
Und wie die Burschen lustig niederkauern,
Erscholl das Lied von Deutschlands heil'gen Siegen. 

Wir tranken Deutschlands Wohl aus Rheinweinkrügen,
Wir sahn den Burggeist auf dem Turme lauern,
Viel dunkle Ritterschatten uns umschauern,
Viel Nebelfraun bei uns vorüberfliegen. 

Und aus den Trümmern steigt ein tiefes Ächzen,
Es klirrt und rasselt, und die Eulen krächzen;
Dazwischen heult des Nordsturms Wutgebrause ... 

Sieh nun, mein Freund! so eine Nacht durchwacht' ich
Auf hohem Drachenfels, doch leider bracht' ich
Den Schnupfen und den Husten mit nach Hause.

 

Ferdinand Freiligrath
(Detmold 1910 - 1876 Cannstadt)

"Auf dem Drachenfels" (1839)

Hoch stand ich auf dem Drachenfels;
Ich hob die Hand, ich biß die Lippen.
Mein Jagdhund, freudigen Gebells,
Schlug an im Widerhall der Klippen.
Er flog hinab, er flog hinan,
Er flog, als ob ein Wild ihm liefe;
Ich aber stand, ein froher Mann,
Und bog hinab mich in die Tiefe. 

In seiner Trauben lust'ger Zier,
Der dunkelroten wie der gelben,
Sah ich das Rheintal unter mir
Wie einen Römer grün sich wölben.
Das ist ein Kelch! - Die Sage träumt
An seinem Rand auf moos'ger Zinne;
Der Wein, der in dem Becher schäumt,
Ist die Romantik, ist die Minne! 

Ha, wie er sprüht: - Kampf und Turnier!
Die Wangen glühn, die Herzen klopfen!
Es blitzt der Helm und das Visier,
Und schöne, frische Wunden tropfen!
Und hoch im Erker sinnend steht,
Vor der sich senken alle Fahnen; -
Was bin ich so bewegt? - was weht
Durch meine Brust ein sel'ges Ahnen?

 

Wolfgang Müller von Königswinter
(Königswinter 1816 - 1873 Neuenahr)

"Mein Herz ist am Rhein" (1841)

Mein Herz ist am Rheine, im heimischen Land!
Mein Herz ist am Rhein, wo die Wiege mir stand,
Wo die Jugend mir liegt, wo die Freunde mir blühn,
Wo die Liebste mein denket mit wonnigem Glühn,
O, wo ich geschwelget in Liedern und Wein:
Wo ich bin, wo ich geh', mein Herz ist am Rhein!
Dich grüß' ich, du breiter grüngoldiger Strom,
Euch Schlösser und Dörfer, und Städte und Dom,
Ihr goldenen Saaten im schwellenden Tal,
Dich Rebengebirge im sonnigen Strahl,
Euch Wälder und Schluchten, dich Felsengestein:
Wo ich bin, wo ich geh', mein Herz ist am Rhein! 
Dich grüß' ich, o Leben, mit jauchzender Brust,
Beim Liede, beim Weine, beim Tanze die Lust!
Dich grüß' ich, o teures, o wackres Geschlecht.
Die Frauen so minnig, die Männer so recht!
Eu'r Streben, eu'r Leben, o mög' es gedeihn!
Wo ich bin, wo ich geh', mein Herz ist am Rhein! 

Mein Herz ist am Rheine, im heimischen Land!
Mein Herz ist am Rhein, wo die Wiege mir stand,
Wo die Jugend mir liegt, wo die Freunde mir blühn,
Wo die Liebste mein denket mit wonnigem Glühn!
O möget ihr immer dieselben mir sein!
Wo ich bin, wo ich geh', mein Herz ist am Rhein!

 

Guillaume Apollinaire
(Rom 1880 - 1918 Paris)

"Mai" (1902)

Le mai le joli mai en barque sur le Rhin 
Les dames regardaient du haut de la montagne 
Vous êtes si joli mais la barque s'éloigne 
Qui donc a fait pleurer les saules riverains 
Or des vergers fleuris se figeaient en arrière 
Les pétales tombés des cerisiers de mai 
Sont les ongles de celle que j'ai tant aimée 
Les pétales flétris sont comme ses paupières 
Sur le chemin du bord du fleuve lentement 
Un ours un singe un chien menés par des tziganes 
Suivaient une roulotte traînée par un âne 
Tandis que s'éloignait dans les vignes rhénanes 
Sur un fifre lointain un air de régiment 

Le mai le joli mai a paré les ruines 
De lierre de vigne vierge et de rosiers 
Le vent du Rhin secoue sur le bord les osiers 
Et les roseaux jaseurs et les fleurs nues des vignes

 

"Mai" (1902)
(Übers.: J. Hübner / L. Klünner, 1976)

Im Mai im schönen Mai in Booten auf dem Rhein 
Herab von Bergeshöhe schauten Damen heiter 
Ihr seid so schön jedoch das Boot es gleitet weiter 
Die Uferweiden weinen was macht ihnen Pein 

Die Blüten hinter uns erstarrten an den Bäumen 
Die Blütenblätter die im Mai der Kirschbaum gibt 
Sind ihre Fingernägel die ich so geliebt 
Verwelkt sind sie wie Augenlider über Träumen 
Gemach auf einem Weg entlang den Stromesrand 
Folgten Zigeuner dort mit Affe Bär und Hunden 
Dem Zirkuswagen dem ein Esel vorgespannt
Indes im Weingelände das der Rhein durchwand 
Mit ferner Pfeifen Lied ein Regiment entschwunden 
Der Mai der schöne Mai schmückt die Ruinen mild 
Mit Efeu Heckenrosen und mit wildem Weine 
In Uferweiden spielt und wühlt der Wind vom Rheine 
In Rebenblüten nackt und plauderhaftem Schilf